Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie

Laut einer Studie der EU-Kommission aus dem Jahr 2022 beträgt die geschlechtsspezifische Lohnlücke in der Europäischen Union 13%. Das bedeutet, dass Frauen im Durchschnitt nur 0,87 € für jeden Euro verdienen, den Männer erhalten. Die „EU-Richtlinie 2023/970 zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Entgelttransparenz und Durchsetzungsmechanismen“ enthält im Kern Transparenz- und Gestaltungsinstrumente zur weiteren Durchsetzung des Gebots der geschlechtsunabhängigen Entgeltgleichheit.

Diese EU-Richtlinie wurde am 6. Juni 2023 verabschiedet und muss spätestens bis zum 7. Juni 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden. Aus deutscher Sicht wird die Umsetzung der Richtlinie in das Entgelttransparenzgesetz erfolgen – und hierzu eine Vielzahl von materiellen Änderungen gegenüber den aktuellen gesetzlichen Entgelttransparenzregelungen mit sich bringen. Unternehmen sollten sich frühzeitig auf die neuen, strengeren Regelungen vorbereiten.

Zentrale Inhalte der Richtlinie:

  1. Erweiterung des Auskunftsanspruchs

Künftig sollen alle Beschäftigten, unabhängig von der Betriebsgröße, einen Auskunftsanspruch erhalten – nicht mehr nur in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitenden.

  1. Recht auf Gehaltsinformationen

Arbeitgeber sind verpflichtet, Mitarbeitenden unaufgefordert und in leicht zugänglicher Weise Informationen über die Kriterien zur Festlegung, zur Höhe und zur Entwicklung des Entgelts bereitzustellen.

Arbeitnehmer:innen haben das Recht, Auskunft über ihre individuelle Entgelthöhe sowie die durchschnittlichen Entgelthöhen von Kolleg:innen des anderen Geschlechts zu erhalten, die gleiche oder gleichwertige Arbeit leisten.

Dieses Auskunftsrecht besteht unabhängig von der Unternehmensgröße und muss spätestens innerhalb von zwei Monaten nach Antragstellung erfüllt werden.

Mitarbeitende müssen jährlich über ihr Auskunftsrecht informiert werden (Ausnahme: Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten).

  1. Objektive und geschlechtsneutrale Entgeltkriterien

Die Kriterien zur Festlegung von Entgelten müssen objektiv, nachvollziehbar und geschlechtsneutral sein.

Zu den Kriterien zählen Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen.

  1. Änderungen im Bewerbungsprozess

Bewerberinnen und Bewerber haben künftig das Recht, bereits im Bewerbungsverfahren Informationen über das vorgesehene Einstiegsgehalt oder eine Gehaltsspanne zu erhalten. Diese Angabe kann direkt in der Stellenausschreibung oder auf andere Weise vorab erfolgen. Zusätzlich haben sie Anspruch auf Auskunft über einschlägige Tarifvertragsbestimmungen, die für die Stelle gelten.

Arbeitgeber dürfen Bewerbende im Vorstellungsgespräch oder im Bewerbungsprozess nicht mehr nach ihrem bisherigen oder aktuellen Gehalt fragen. Dies soll verhindern, dass sich frühere Gehaltsunterschiede auf neue Verträge übertragen und so Lohndiskriminierung verstärken.

Die Richtlinie fordert, dass Berufsbezeichnungen geschlechtsneutral formuliert und Einstellungsverfahren diskriminierungsfrei durchgeführt werden. Dies entspricht weitgehend der aktuellen Rechtslage, wird aber nochmals bekräftigt.

Bei Verstößen gegen diese Vorgaben, etwa wenn Gehaltsinformationen nicht bereitgestellt oder Fragen zum früheren Gehalt gestellt werden, verschärft sich die Beweislast zuungunsten des Arbeitgebers. Das bedeutet, Arbeitgeber müssen nachweisen, dass keine Diskriminierung vorliegt. Die Sanktionen und Durchsetzungsmöglichkeiten werden künftig strenger sein.

  1. Berichtspflichten

Unternehmen mit mindestens 100 Beschäftigten müssen regelmäßig Berichte über geschlechtsspezifische Lohnunterschiede erstellen und an die zuständigen Behörden übermitteln.

Die Berichtspflichten treten gestaffelt nach Unternehmensgröße in Kraft:

  • Ab 7. Juni 2027: Unternehmen mit 250+ Beschäftigten (jährlich)
  • Ab 7. Juni 2031: Unternehmen mit 150–249 bzw. 100–149 Beschäftigten (alle drei Jahre)
  1. Feststellung eines geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschied von 5 % oder mehr

Besteht ein geschlechtsspezifischer Gehaltsunterschied von 5 % oder mehr, muss das Unternehmen gemeinsam mit der Arbeitnehmervertretung (z. B. Betriebsrat) eine umfassende Überprüfung der Gehaltsstrukturen durchführen. Ziel ist es, die Ursachen der Gehaltsunterschiede zu identifizieren und zu beseitigen.

Die Ergebnisse dieser gemeinsamen Bewertung müssen der Belegschaft und den zuständigen Behörden mitgeteilt werden.

Der Arbeitgeber muss entweder den Unterschied innerhalb von sechs Monaten nach der Berichterstattung ausgleichen oder objektiv und geschlechtsneutral begründen, warum der Unterschied besteht.

Betroffene Arbeitnehmer:innen haben Anspruch auf Entschädigung, einschließlich Nachzahlungen, Boni oder Sachleistungen, wenn eine Diskriminierung festgestellt wird. Die Beweislast liegt beim Arbeitgeber. Sanktionen bei Verstößen können Geldbußen umfassen und müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

Diese Maßnahmen gelten für Unternehmen, die unter die Berichtspflichten der Richtlinie fallen (in der Regel ab 100 Beschäftigten).

  1. Verlagerung der Beweislast

In Streitfällen liegt die Beweislast künftig beim Arbeitgeber, der nachweisen muss, dass keine Entgeltdiskriminierung vorliegt.

  1. Sanktionen und Durchsetzung

Bei Verstößen gegen die Vorgaben drohen erstmals Bußgelder und weitere Sanktionen.

Neue Instrumente wie Verbandsklagen sollen die Durchsetzung der Rechte stärken.

Fazit

Eine frühzeitige und strukturierte Vorbereitung auf die EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz ist entscheidend. Unternehmen sollten ihre Vergütungsstrukturen analysieren, objektive Bewertungskriterien etablieren, Transparenz schaffen und regelmäßig Bericht erstatten, um rechtliche Vorgaben zu erfüllen und faire Arbeitsbedingungen sicherzustellen.